Ich freue mich, dass Svenja Loewe mir einen Gastbeitrag zum Thema Hochsensibilität im Mama-Alltag zur Verfügung gestellt hat. Svenja ist Ergotherapeutin, Mutter von zwei Kindern und – hochsensibel!
In ihrem Alltag mit der Hochsensibilität haben sich einige Strategien als hilfreich herausgestellt. Diese teilt sie heute mit uns. Danke! 🙂
Falls du neben deiner eigenen Hochsensibilität auch hochsensible Kinder hast, kann ich dir ihren Ratgeber nur empfehlen: Werde zum Experten für dein hochsensibles Kind.
Kennst Du das?
Manchmal ist dir alles zu laut, zu schnell und Du fühlst dich von allem überfordert.
Du reagierst sofort auf Stimmungen und Launen anderer und lässt Dich von ihnen sehr mitziehen.
Oft hast Du das Gefühl, alle anderen schaffen alles viel leichter, was Dir sehr schwer fällt und Dich sehr viel Energie kostet.
Veränderungen und unerwartete Situationen stressen Dich enorm und Du brauchst dann erst einige Zeit, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen.
Wenn Du viele Menschen um dich herum hast fühlst Du Dich gestresst und unwohl.
Du grübelst viel, auch über tiefgründige Dinge.
Scheinbare Kleinigkeiten oder Ungerechtigkeiten belasten Dich oft sehr und Du denkst lange darüber nach.
Und manchmal würdest Du einfach nur gern allein sein und Deine Ruhe haben, um wieder Luft holen zu können und zu Dir zu kommen.
Bist Du vielleicht hochsensibel?
Wenn Du Dich hier erkennst, kann es durchaus sein, dass Du selbst hochsensibel bist.
Aber jetzt musst Du nicht erschrecken, denn Hochsensibilität ist weder eine Krankheit noch eine Störung oder irgendetwas Negatives. Es ist ganz einfach ein besonderer Wesenszug, der mit einer sehr differenzierten Wahrnehmung einhergeht. Dies bedeutet ganz einfach, dass bei hochsensiblen Menschen viel mehr Reize, äußere wie auch innere, im Gehirn ankommen. Man könnte auch sagen, der Reizfilter ist durchlässiger.
Da wir in einer schnellen, lauten Welt leben, sind hochsensible Menschen oft damit beschäftigt, sich vor den vielen Eindrücken zu schützen, um eine Reizüberflutung zu vermeiden. Dies wiederum kostet viel Kraft und führt häufig zu schneller Erschöpfung.
Hochsensibilität kann sich auf verschiedene Wahrnehmungskanäle beziehen, wie etwa hören, riechen, fühlen, schmecken und sehen. Aber auch das Wahrnehmen von Gefühlen, Stimmungen und Feinstofflichem.
Somit sind hochsensible Menschen weder schlechter noch besser, sondern einfach nur etwas anders als die meisten, wobei Studien zufolge sogar 15-20% aller Menschen hochsensibel sind.
Woran Du das erkennen kannst
Woran erkennst Du nun, ob Du wirklich hochsensibel bist?
Es gibt hierfür keine Diagnose, da es ja keine Krankheit ist. Und auch Ärzte, Psychologen und andere Therapeuten kennen sich mit diesem Thema oft nicht besonders gut aus, da dies auch noch nicht in deren Ausbildungen gelehrt wird.
Deswegen geht es vor allem darum, ob Du Dich in den Beschreibungen wieder findest und es sich stimmig für Dich anfühlt. Zur besseren Einschätzung habe ich Dir einen kurzen Fragebogen zusammengestellt. Wobei es nicht wichtig ist, ob Du möglichst viele Fragen mit einem “Ja” beantworten kannst sondern vielmehr, ob es für Dich passend ist. Hör hier auf Dein Bauchgefühl.
- Nimmst Du Gefühle/Stimmungen anderer intensiv wahr?
- Hast Du selbst ein intensives Gefühlsleben?
- Kannst Du Dich gut in andere hineinversetzen?
- Bist Du manchmal überwältigt von Deinen Gefühlen?
- Kann ein Musikstück oder ein Film Dich sehr stark berühren?
- Rühren Dich Filme oder schockieren Dich Nachrichten besonders stark?
- Sind Gewaltszenen in Filmen für Dich schwer zu ertragen?
- Leidest Du oft mit anderen mit?
- Ist Ungerechtigkeit für Dich nur schwer zu ertragen?
- Grübelst Du viel über tiefgehende Fragen?
- Kommst Du nach einem aufregenden Tag nur schwer zur Ruhe?
- Fällt es Dir schwer, mehrere Dinge auf einmal zu machen?
- Reagierst Du empfindlich auf laute Geräusche?
- Meidest Du große Menschenansammlungen?
- Fühlst Du Dich unwohl unter fremden Leuten?
- Strengt Dich der Kontakt zu anderen Menschen sehr an?
- Erkennst Du schnell wenn bei anderen Gesagtes nicht mit den Gefühlen übereinstimmt?
- Langweilt bzw. strengt Dich Smalltalk an?
- Bist Du sehr intuitiv?
- Ist grelles Licht für Dich besonders unangenehm?
- Enge oder kratzende Klamotten sind für Dich kaum zu ertragen?
- Reagierst Du stark auf Koffein, Alkohol und/oder Medikamente?
- Hast Du einen feinen Geschmacks- oder Geruchssinn?
- Kannst Du beim Essen bestimmte Konsistenzen nicht ertragen?
- Beunruhigen Dich neue/unbekannte Situationen?
- Fühlst Du Dich oft anders als andere?
- Bist Du auch gerne mal allein?
- Bist Du sehr schmerzempfindlich?
- Hast Du einen starken Bezug zu Spiritualität/Übersinnlichem?
- Fühlst Du dich oft unverstanden und/oder allein?
- Hast Du viel Fantasie bzw. bist Du sehr kreativ?
- Bist Du sehr gewissenhaft bzw. akribisch?
- Hast Du einen hohen Anspruch an Dich selbst?
- Hast Du einen guten Zugang zu Natur, Musik oder Kunst?
- Fühlst Du Dich oft für vieles verantwortlich?
- Beziehst Du Dinge oft auf Dich?
- Hast Du schon mal darüber nachgedacht, hochbegabt zu sein?
- Hast Du das Gefühl, Dein Kopf läuft ständig auf Hochtouren?
- Bist Du sehr harmoniebedürftig?
- Leidest Du unter vielen Allergien?
- Bist Du schreckhaft/ängstlich?
- Erlebst Du Hunger und Durst sehr intensiv? Wirst Du dann schnell gereizt?
- Findest Du in der Natur zu Ruhe und Kraft?
- Suchst Du Rückzug und Ruhe, wenn Dir alles zu viel wird?
- Fühlst Du Dich im Alltag oft überfordert?
- Hast Du ein gutes Gespür für Ästhetik?
- Neigst Du zu Perfektionismus und willst alles ganz genau und richtig machen?
- Denkst Du immer erst über alle Möglichkeiten nach, bevor Du ins Handeln kommst?
- Ist ein Teil Deiner Eltern oder Dein Kind hochsensibel? (Hochsensibilität ist vererbbar)
Meistens ist es ein wahres Aha-Erlebnis für die “Betroffenen”, wenn sie eine Beschreibung lesen und sich darin wieder finden.
Ging es Dir auch so?
Warum ist es so wichtig, von der eigenen Hochsensibilität zu wissen?
So. Nun weißt Du, dass Du höchstwahrscheinlich hochsensibel bist. Aber was bringt mir das, fragst Du Dich vielleicht.
Es sind mehrere Vorteile, die Du hast, wenn Du darüber Bescheid weißt. Zum Einen kannst Du Dich selbst besser kennen und verstehen lernen und wirst vielleicht auch ein wenig milder mit Dir selbst umgehen können. So hilft Dir dieses Wissen, Methoden zu finden, mit dieser Wahrnehmung besser zurecht zu kommen, heraus zu finden, was Dir gut tut und was nicht und vor allem, Dich besser anzunehmen, so wie Du bist.
Zum Anderen wirst Du ein gutes Vorbild sein, wenn auch dein Kind hochsensibel ist, was sehr wahrscheinlich ist, denn diese Eigenschaft ist vererbbar. Dein Kind wird seine eigene Hochsensibilität besser annehmen und damit umgehen können, wenn Du ihm dies vorlebst.
Was bedeutet das ganz konkret für meinen Alltag?
Mit dieser besonderen Art der Wahrnehmung kann man sehr gut leben und dies auch schätzen lernen, denn es gibt viele positiven Seiten daran. Nur manchmal erkennt man diese nicht, denn man ist die ganze Zeit damit beschäftigt, den Alltag zu meistern, sich vor einer Reizüberflutung zu schützen oder einfach nur anzupassen und mit anderen mitzuhalten. Dies kostet so viel Energie, dass man kaum noch in der Lage ist, seine eigenen Potenziale zu leben. Wenn man noch nicht gelernt hat, wohlwollend mit seiner Hochsensibilität umzugehen, kann das Leben schnell sehr anstrengend und ermüdend sein. Vor allem in dieser lauten und schnellen Welt, in der Durchsetzungsvermögen, Individualismus und das Streben nach Macht als Tugenden gesehen werden, gehen sensible Seelen oft unter.
Deswegen ist es besonders wichtig, gut für Dich zu sorgen und heraus zu finden, was Dir selbst gut tut und was nicht. Dann wirst Du schnell merken, dass das Leben viel weniger Kraft kostet und Du wirst ganz neue schöne Seiten an Dir kennen lernen. So wirst Du auch Deine Hochsensibilität als etwas positives kennen lernen.
Hier möchte ich Dir ein paar ganz konkrete Hilfestellungen an die Hand geben:
- Setze Dich mit dem Thema Hochsensibilität auseinander: Es ist wichtig, dass Du Dich mit diesem Thema vertraut machst und zum Experten für Dich und auch Dein Kind wirst. Denn um so mehr Du darüber weißt, desto klarer werden viele Dinge werden und somit wirst Du auch besser damit umgehen können.
- Nimm Dich an, so wie Du bist: Du bist genau richtig und wertvoll, so wie Du bist und Deine sensible Wahrnehmung macht Dich zu etwas ganz besonderem. Halte Dir immer wieder auch Deine Stärken vor Augen.
- Versuche nicht, Dich anzupassen: Hochsensible Menschen tendieren oft dazu, eigene Bedürfnisse zurück zu stellen, um es anderen recht zu machen oder ihnen zu gefallen. Dabei können sie verlernen, sich selbst zu spüren und laufen Gefahr, die Verbindung zu sich selbst zu verlieren. Deswegen ist es so wichtig einen achtsamen Umgang mit dem eigene Innenleben zu entwickeln. Was tut Dir gut und was nicht? Was möchtest Du wirklich und was nicht? Wo sind Deine Grenzen?
- Nimm Deine Bedürfnisse ernst: Gerade als Mama möchte man alles für seine Kinder tun, damit es ihnen gut geht und ihnen auch nichts fehlt, doch kommt man dabei oft selbst zu kurz. Doch hat keiner etwas davon, wenn Du irgendwann am Ende deiner Kräfte bist, denn Du kannst nur gut für andere das sein, wenn es Dir selbst gut geht. Nicht umsonst heißt es bei gefährlichen Situationen im Flugzeug, dass man die Sauerstoffmaske zuerst sich selbst und dann den anderen aufziehen soll. Denn sonst kann man ganz schnell niemandem mehr helfen. Dies hat nichts mit Egoismus zu tun, sondern mit Liebe zu anderen und sich selbst.
- Vergleiche Dich nicht mit anderen: Du musst nicht überall mithalten können und Du musst Dich vor allem auch nicht ständig mit anderen vergleichen, denn Du bist gut, so, wie Du bist. Durch deine Hochsensibilität nimmst Du viel mehr wahr, als andere, was viel Energie braucht, die Dir unter Umständen woanders fehlt. Nimm es an, so wie es ist und versuche nicht mehr zu geben als Du hast.
- Finde heraus, welche Situationen Dich belasten: Je nachdem in welchem Bereich Du besonders sensibel sind, werden Dich verschiedene Situationen unterschiedlich belasten. Für manche sind laute Geräusche sehr anstrengend, andere ertragen Menschenmengen nicht, wieder andere können mit Kritik oder Streit nicht gut umgehen. Dann kann es hilfreich sein, diese Situationen zu meiden, Wege zu finden besser damit zurecht zu kommen oder aber sich immer wieder Auszeiten zu nehmen, um die Akkus wieder zu laden.
- Entschleunige deinen Alltag: Wir leben in einer schnellen Welt und oft ist unser Alltag vollgestopft mit Terminen und Verpflichtungen, aber genau das ist für hochsensible Menschen sehr belastend. Sie brauchen immer wieder Auszeiten und Ruhe, um all die aufgenommenen Reize zu verarbeiten, deswegen ist es sinnvoll den Alltag soweit es geht zu entschleunigen. Plane nicht zu viele Termine pro Tag, prüfe genau, welche Programmpunkte wirklich von Bedeutung sind und plane immer wieder Pausen ein. Du musst nicht perfekt sein und auf alle Hochzeiten tanzen.
- Lerne, Dich abzugrenzen: Hochsensible Menschen saugen Stimmungen und Gefühle oft wie Schwämme auf, und dabei fällt es ihnen oft schwer zwischen eigenen und fremden zu unterscheiden. So übernehmen sie diese oft aus ihrer Umwelt und sind dann irritiert, weil sie es nicht recht einordnen können. Hier ist es besonders wichtig, zu lernen, sich abzugrenzen und fremde Emotionen zu erkennen und nicht mehr an sich heran zu lassen.
- Finde heraus, was Dir gut tut: Um entspannt durch den Alltag zu kommen, musst Du auch gut für dich sorgen. Dabei ist es wichtig, dass Du Dir Gutes tust und dies immer wieder in deinen Tagesablauf integrierst, um Dein Wohlbefinden zu stärken und Deine Akkus aufzuladen. Was Du dabei tust, ist ganz egal, Hauptsache, Du fühlst Dich gut dabei. Es muss nicht mal etwas Großes sein, oft reichen schon kleine Dinge. In Ruhe einen Kaffee oder Tee trinken, Spazieren gehen, ein Bad nehmen, Sport machen, meditieren, ein Buch lesen etc.
- Nimm Dir Deine Auszeiten: Um all die Reize zu verarbeiten, die auf Dich einstürmen und denen Du vor allem als Mama ausgesetzt bist, brauchst Du immer wieder Ruhezeiten. Es ist von großer Bedeutung, dies immer wieder in den Alltag einzubauen. Daraus kannst Du so viel Kraft schöpfen. Kommuniziere das auch mit Deiner Familie und schau, dass Du diese Zeit auch wirklich für Dich hast und nicht ständig gestört wirst. Fordere Dir hierfür Unterstützung von Deinem Partner, Deiner Familie oder Freunden ein. Du wirst sehen, wieviel leichter Deine Tage dann sein können.
Setze Dich nun aber nicht unter Druck, Veränderungen brauchen ihre Zeit und können nicht von einem Tag auf den anderen umgesetzt werden. Wichtig ist nur, dass Du erkennst, wie wertvoll Du selbst bist und dass es sich lohnt, gut für sich zu sorgen.
Denn dann wirst Du auch all die positiven Seiten der Hochsensibilität zu schätzen lernen.
Wie etwa ein großes Einfühlungsvermögen, die starke intuitive Verbindung zu den Kindern, das Bedürfnis nach Harmonie, die Verbundenheit zur Natur, das Verstehen und Hinterfragen großer Zusammenhänge, die Kreativität, die Liebe zur Musik, das Erspüren von Gefühlen und noch so vieles mehr.
Wenn Du gelernt hast, achtsam mit Deiner Hochsensibilität umzugehen, wirst Du ganz wunderbar mit ihr leben können.
Deine Svenja
Mehr zu diesem Thema kannst Du auf meinem Blog www.dieloewenfamile.de nachlesen.
Photocredit für Titelbild und Schlussbild: Angelika Beck – Seelenfotografie