Multipassionate for life schrieb ich vor kurzem unter einen Beitrag bei Facebook. Welche Wellen mein Geständnis schlagen würde, darauf war ich nicht vorbereitet. So viele Menschen fühlten sich endlich richtig, verstanden, angenommen in ihren vielen Leidenschaften.
Scannerpersönlichkeit
Dass ich mich schon immer auf Neues gestürzt habe, wenn es etwas zu lernen und aufzusaugen gab, ist für mich an meiner gesamten Lebensgeschichte abzulesen:
Als ich russisch lesen konnte, nahm ich das Deutsch-Wörterbuch, um die neuen Buchstaben kennenzulernen, als ich Addition und Subtraktion beherrschte, lernte ich Multiplikation und Potenzen, als wir auswanderten, war ich Feuer und Flamme für die neue Sprache, neue Menschen, neue Umgebung. Sprachen und Musik zogen sich durch meine Schulzeit: Ich lernte Englisch, Französisch, Latein, Italienisch, wurde ausgebildet in Klavier und Gesang und brachte mir jedes Schuljahr ein neues Instrument bei. Im Unterricht schrieb ich mit meiner Nebensitzerin Theaterstücke oder Gedichte. Und Liebesbriefe, natürlich.
Nein, wir spielen hier nicht das Angeberspiel.
Ich kann fast keine der Sprachen mehr sprechen (ich musste in Italien einen Einbruch in mein Auto bei der Polizei melden. Fragt nicht!), Klavier spielen nur noch mäßig und all die anderen Instrumente kaum. Auch so ein Kennzeichen des Scannerdaseins: Wenn etwas nicht mehr interessant ist, wird es verworfen und verbleibt passiv in der Ecke.
Gleichzeitig ist all dieses Wissen und Können noch da und kann vernetzt werden mit neuen Informationen und so sind Scanner wirklich grandios darin, neue Wege zu finden, Ideen zu spinnen, kreative Lösungen zu finden und den Überblick über große, vielseitige Themen zu behalten.
Was ist eine Scannerpersönlichkeit?
Der Begriff Scannerpersönlichkeit ist geprägt von Barbara Sher. Über ihr Buch: Du musst dich nicht entscheiden! heißt es:
Es gibt Menschen, die sich nicht auf ein einziges Lebensthema beschränken wollen, weil sie sich so vieles vorstellen können. Erfolgsautorin Barbara Sher nennt sie »Scanner« und versteht darunter aufgeweckte, neugierige Zeitgenossen, die gerade unter der Fülle ihrer Interessen leiden. Denn Beschränkung heißt für sie Beschneidung in ihren Möglichkeiten. Barbara Sher befasst sich ausführlich mit Wesen, Freud und Leid von Scannern und verrät viele Tricks, wie sie aus ihrer Not eine Tugend machen und ein erfülltes und erfolgreiches Leben führen können.
Barbara Sher
Anja Rassek fasst in ihrem Artikel: Scannerpersönlichkeit – Vom Fluch, vielbegabt zu sein zusammen:
Scannerpersönlichkeiten: Hochbegabung im Kleid der Vielseitigkeit
Scanner-Persönlichkeiten sind eine Variante der Hochbegabung. Sie eignen sich Wissen sehr schnell an, verlieren allerdings dann auch recht schnell das Interesse. Sie…
- neigen dazu, in ihren Interessen weniger in die Tiefe, als vielmehr in die Breite zu gehen.
- haben 1.000 Ideen, die sie am liebsten sofort umsetzen möchten – sei es Klavier zu lernen, ein Buch zu schreiben, gleichzeitig ein Nähkurs zu besuchen, wissenschaftliche Abhandlungen über Physik zu verschlingen, neue Rezepte auszuprobieren oder ein Haus zu bauen.
- vermeiden eine Spezialisierung, weil ihnen das langweilig und einengend erscheint.
- fühlen sich extrem unter Druck gesetzt und gestresst, wenn sie Entscheidungen für ein bestimmtes Gebiet treffen und sich ausschließlich darauf konzentrieren sollen.
- probieren immer wieder neue Dinge aus, bringen sie aber nicht immer zu Ende. Wichtiger ist für sie beschäftigt zu sein und dem Wissensdrang nachzugehen.
- sind in Gedanken oft mit ihren Interessen beschäftigt und wirken daher manchmal abwesend.
Fluch der Vielbegabung?
In einer Welt, in der Expertentum, Fokus und Wissen in der Tiefe gefragt sind, fühlen Scanner sich oft falsch und ja, verflucht. Gleichzeitig versprühen sie eine Energie und Freude in ihrem Tun, die oft anziehend wirken auf ihre Umwelt und ihre Umgebung inspiriert. Und hier kann es kein Besser oder Schlechter geben. Wir sind.
Scannerpersönlichkeiten ändern schnell und oft ihre Tätigkeitsfelder und sind scheinbar inkompatibel. Sie verbringen möglicherweise lange Zeit damit, eine Positionierung zu finden, die Vision für ihr Leben zu finden oder damit, sich überhaupt auf etwas festzulegen.
Good News:
Das müssen sie auch nicht!
Mein #multipassionateforlife Weg
Mit meinem Lehramtsstudium mit Germanistik, Anglistik, Pädagogik und meinem Montessori-Diplom war ich tätig als Lernbegleiterin an einer kleinen freien aktiven Schule. Warum das der perfekte Job für mich war?
Ich konnte jeden Tag genau das anbieten, was mir Spaß machte und sehr individuell mit meinen SchülerInnen arbeiten an dem, was sie interessierte. Die Tage starteten oft am Klavier und endeten im Garten. Wenn ich Lust hatte zu häkeln, zu basteln oder eine besondere Kunsttechnik auszuprobieren, machte ich einfach ein dazu passendes Angebot für die Schule. Meine eigene Begeisterung für das jeweilige Thema reichte aus, um am Ende des Tages strickende 9.-Klässler vor mir oder riesige Chemieprojekte aufgebaut zu sehen.
Gleichzeitig hatte ich die stellvertretende Schulleitung inne und durfte mich einarbeiten in Abläufe und Strukturen, die mir zuvor unbekannt waren.
Weiterentwicklung und Veränderung – Coach und Mentorin
Und natürlich war es zwar schön und warm und angenehm in diesem Nest, aber stehenbleiben war keine Option. Ich bildete mich weiter zum Kinder- und Jugendcoach, nur um in kürzester Zeit festzustellen: Eigentlich haben diese Kinder keine wirklichen Probleme. Vieles ist nur Spiegel der Eltern. Ich spezialisierte mich auf das Coaching für Müttern, machte Weiterbildungen in The Work und Hypnose. Bis heute lerne eigentlich jeden Tag Neues, entwickle meine eigenen Techniken und passe an, denke weiter.
Auch meine persönliche Weiterentwicklung in vielen Bereichen kommt meinem Arbeiten natürlich zugute. Denn immer mehr wird mir klar: Ich kann jemanden nur so weit in die Tiefe begleiten wie ich selbst getaucht bin und aufgelöst habe.
Sichtbarkeit – Schritt für Schritt
Diese Entwicklung sichtbar zu machen, öffentlich zu sein mit dem, was sich bei mir tut – das führt dazu, dass ich nicht nur von potentiellen Coachees gesehen werde, sondern auch von KollegInnen. Heute begleite ich viele KollegInnen auf ihrem individuellen Weg in die Sichtbarkeit. Denn ja, ich bin nicht nur Motivation und Inspiration für andere Mütter, sondern eben auch für andere Coaches. Das freut mich von Herzen. Denn wie ich rausgehe und was ich zeige, das BIN ICH. Ansteckend zu sein durch Authentizität, Inspiration zu sein als die Person, die ich bin, das ist für mich so stimmig. Und klar, so kann ich meine Klientinnen einfach auch am besten begleiten.
Kooperationen
Im Herbst war mir bereits klar, dass ich gerne nicht mehr ausschließlich als Solopreneurin unterwegs sein möchte, sondern Synergien nutzen und mit Lieblingsmenschen zusammenarbeiten möchte. Wie das alles zu mir kommen würde, das wusste ich noch nicht, als ich das in mein Journal schrieb.
Sympatexter Academy
Dann kam Judith mit der Idee zur Sympatexter Academy. Ein Mitgliederbereich, der alles enthalten sollte, was sie in den letzten Jahren erschaffen hatte und vielen Menschen auf ihrem Weg in die Sichtbarkeit helfen sollte. Ob Claimentwicklung, Newsletter, Webseitentexte oder das Herz der Academy: Bloggen – Die StudentInnen konnte und wollte sie nicht mehr alleine betreuen. Ich habe alle von Judiths Kursen gemacht und liebe ihre ansteckende, geistreiche und inspirierende Art zu lehren – ich sollte einen Fanclub gründen ?Jedenfalls war zum Ende des Jahres klar: Ich werde Community Managerin in der Sympatexter Academy. Win:Win.
Speechless
Ehrenamtlich war ich seit dem Sommer 2019 für Speechless tätig – das Charity Event, bei dem ich im Mai auf der Bühne stand. Mit einem kleinen Team sind wir motiviert, das Event 2020 auf eine neue Stufe zu stellen und es noch grandioser werden zu lassen als es 2019 bereits war. Was die drei Veranstalter nach und nach merken: Sie brauchen mehr Unterstützung auf ihrer Ebene. Sie fragen mich, ob ich die Stelle der General Managerin übernehmen möchte. Ein paar Tage später sage ich zu. Ein weiterer Schritt in meine verrückte Reise mit Speechless. Und ich weiß jetzt schon, dass das nicht der letzte sein wird – denn das war alles erst der Anfang!
Multipassionista
Ich werde oft gefragt, wann und wie ich das alles unter einen Hut bekomme. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich frage mich ja eher, wie manche Menschen Jahrzehnte lang ein und derselben Aufgabe nachkommen können.
Als Multipotentiolite, Scanner, Multipassionista liebe ich die Vielfalt und ich liebe dieses Stadium in meinem Leben, in dem ich so viele Dinge wirklich auch ausleben darf. Alles gleichzeitig, alles nebeneinander, alles mit voller Power. So bin ich einfach und so funktioniert leben und arbeiten für mich am besten. Das bedeutet nicht, dass ich ununterbrochen arbeite, ständig untewegs bin oder nie Pausen mache.
Pausen und Auszeiten sind sehr wichtig für mich. Zur Regeneration, um in meine Mitte zurückzukommen und vor allem auch, um neue Ideen entwickeln zu können.
Vielbegabung auf der Bühne
Hier findest du noch einen meiner liebsten TEdx Talks: Emilie Wapnick – Why Some of us Don’t Have One True Calling.
Und hier habe ich bemerkt: Ich bin genau richtig wie ich bin. Auch wenn ich kein gutes Vorbild sein mag in Fokus, Positionierung, Expertentum oder Einschätzbarkeit. Ich bin und bleibe eine Wundertüte.
Deswegen – an all meine Multipassionistas da draußen: Du bist richtig. Du musst dich nicht entscheiden. Du musst dich nicht festlegen. Und du darfst neu starten. Immer und immer und immer wieder! #multipassionateforlife
6 Kommentare
Word! Danke für den tollen Artikel!
Ich dachte lange mit mir ist was kaputt und ich muss mich besser managen, fokussieren, entscheiden…you name it!
Bis ich das ganz akzeptiert habe und mich nur noch auf alles konzentriere was gut daran ist dauert’s wohl noch etwas, aber das ist ok!
Es macht jedenfalls einen riesen Spaß von Dir zu lesen!
Danke dir!
Und ja, es ist definitiv eine Reise hin zum Annehmen und Akzeptieren… Best feeling ever!
Was du schreibst, trifft es so sehr. Deinen Text hätte ich schon vor einigen Jahren lesen sollen. Das Scanner-Thema ist mir erst vor gut einem Jahr begegnet, und seitdem fühle ich mich endlich richtig. Dein Weg ist toll und auch, dass du ihn teilst und andere inspirierst!
Ach, Julia.
Ich danke dir so sehr für deine Worte!
Ich weiß so lange über dieses Phänomen Bescheid, es ist so selbstverständlich Teil meines Lebens geworden. Und ich teile so gerne all das, was ich erlebt habe auf dem Weg der Selbstannahme. Denn ja, es ist schon auch eine große Aufgabe und Herausforderung.
But I love it!
Mich hat mal ein Coach in einem Karrierecoaching “Allesfresser” genannt und das hat es damals für mich auf den Punkt getroffen – das hat es für mich gut getroffen. “Scanner” finde ich aber auch nicht schlecht – danke für den Input! 🙂
Allesfresser find ich auch spannend!
Und danke, sehr gerne 🙂